Noch elf Zentimeter bis zum Abschied

28 04 2011

Der Schwimmmeister Rainer Schweisser hört nach 35 Jahren auf. Das Hallenbad verliert eine Marke.

Rainer Schweisser zelebriert seinen Abschied. Am gelben Poloshirt des Schwimmmeisters im Freiberger Hallenbad baumelt ein Maßband. Elf Zentimeter zeigt die Längenangabe, jeden Tag schneidet der 59-Jährige eine Ziffer ab – und zählt somit bis zu seinem letzten Arbeitstag. Denn er geht im Mai nach 35 Jahren in den Vorruhestand. Bei 150 Zentimetern fing er an, rückwärts zu zählen.

„Ich hatte hier eine glorreiche Zeit, aber mit ch“, sagt Schweisser und lacht. Schließlich kam er beinahe täglich mit dem Desinfektionsmittel Chlor in Berührung. Seine Nase und seine Bronchien sind leicht in Mitleidenschaft gezogen worden, er schnupft ein wenig. „Das stört mich aber nicht wirklich“, sagt Schweisser. Trotzdem besitzt er wegen dieser Probleme und aufgrund eines Hüftleidens einen Behindertenausweis. Der Freiberger will sich aber gar nicht lange mit seinen Wehwehchen aufhalten, er erzählt lieber über sein Bademeisterdasein, über seine Erlebnisse. Hier im Becken hat er eine Frau aus dem Wasser gezogen, die ihm daraufhin ein trockenes T-Shirt lieh, dort hat er einen Jungen „zusammengebügelt“, der Apnoetauchen übte und lange am Beckenboden schwebte. Das habe ihm einen „Riesenschreck“ eingejagt.

Denn während der Aufsichtszeit des Bademeisters ist auch einmal jemand gestorben: Ein Triathlet trainierte im Hallenbad, trieb plötzlich reglos im Wasser. Schweisser sprang sofort ins Becken, versuchte den Mann zu reanimieren. Es half nichts, der Gast hatte bereits Bypässe, starb an einem plötzlichen Herztod, Rainer Schweisser traf keine Schuld. Der Familienvater wollte danach keine Pause, machte weiter – „und mittlerweile habe ich es verkraftet“.

Er befolgte auch in diesem Fall sein Credo: „Man muss die Aufsichtspflicht immer gewährleisten“ – ob am Beckenrand oder im Aufsichtsraum. Dabei ist er „auch manchmal laut geworden“. „Ich denke aber, dass ich insgesamt ein lockerer und ruhiger Schwimmmeister bin.“

Auf alle Fälle ist Rainer Schweisser aufmerksam. Als eine Schwimmerin vor dem Aufsichtsraum steht, greift er automatisch zur richtigen Schwimmhilfe und gibt sie der Frau. „Ich kenne meine Kandidaten“, sagt er. 35 Jahre als Bademeister bringen eine gewisse Erfahrung mit sich. Aber auch ein Repertoire an Tricks, denn Schweisser ist ebenso ein Schelm. Als er gebeten wurde, die Wassertemperatur zu erhöhen, drehte er an einem Schalter in seinem Räumchen. „Das hat aber gar nichts bewirkt, die Leute dachten dennoch, es wäre wärmer“, erzählt er, der einst eine Ausbildung zum Werkzeugmacher absolvierte.

Rainer Schweisser illustriert die Anekdote, indem er sie nachstellt. Er spricht gern mit Händen und Füßen. Das sagt auch Larissa Brucker, die seit 2008 im Hallenbad aushilft. „Er geht schon manchmal forsch auf die Leute zu und macht Witze, die manche erst nicht verstehen“, sagt die Studentin, „aber er ist ein toller Mensch und ein netter Chef“, der strenger wirke, als er ist. „Es ist schade, dass er aufhört.“

Irgendwie ist das Freiberger Hallenbad ohne Rainer Schweisser schwer vorstellbar, er war eine Marke und bezeichnet seine Arbeitsstätte als „mei Bädle“, das er weit über seine Pflichten wie Aufsicht, Abrechnung, Putzen hinaus pflegte. „Ich war immer gerne hier, aber ich freue mich auch auf die Zeit danach“, sagt er, „Langeweile wird es keine geben.“ Schließlich warten daheim ein Enkel und bald das Haus des Sohnes, das renoviert werden muss. Für diese Arbeit sollte er sich dann aber noch ein neues Maßband zulegen.

veröffentlicht in der Stuttgarter Zeitung am 27. April 2011





Diesmal soll der große Umbruch ausbleiben

28 04 2011

Der Ludwigsburger Bundesligist will trotz der verpassten Play-off-Teilnahme die meisten Spieler halten.

Das Motto lautet Kontinuität. Davon lassen sich die Verantwortlichen des Basketball-Bundesligisten EnBW Ludwigsburg auch nach dem erneuten Verpassen der Play-off-Plätze nicht abbringen. Ob Trainer, Manager, Vereinsboss oder Teambetreuer: alle werten die abgelaufene Saison mit dem neunten Rang positiv und sehen in ihr eine gute Basis für die Zukunft. „Es besteht ein großer Unterschied zu den vergangenen Spielzeiten“, sagt der Vorstandsvorsitzende Alexander Reil, „diesmal will ich nicht am liebsten 80 Prozent der Spieler nach Hause schicken.“

Die Mannschaft habe sich „Kredit zurückerspielt“ und „Sympathiepunkte gewonnen“. Reil ist optimistisch, den Großteil des Teams halten zu können, „aber vereinzelt werden wir Veränderungen vornehmen müssen“. Schließlich war das größte Problem der Saison die Verteidigung, weshalb der Clubchef dafür plädiert, „die Mischung des Teams ein wenig zu ändern“. Eine Spielerrochade wie in den vergangenen Jahren gebe es aber definitiv nicht.

Auch der Trainer soll diesmal länger bleiben. Hier scheint das einzige Fragezeichen die Sondersituation von Markus Jochum zu sein, der als Lehrer beim Staat angestellt ist und daher nicht ganz unabhängig entscheiden kann. Jedenfalls ist seine „Motivation weiterhin groß“. Schließlich wertet er die Saison „als positive Entwicklung mit vielen schönen Spielen“.

Zudem ist die aktuelle Runde die erfolgreichste seit 2007: Ludwigsburg erspielte sich endlich wieder mehr Siege als Niederlagen. „Das Besondere dieser Mannschaft war das Miteinander, die Harmonie, dass sich jeder für den anderen einsetzt“, sagt der Ludwigsburger Teambetreuer Dieter Schöninger. Für die nächste Saison ist er daher zuversichtlich und baut mit einem Verweis auf das Erfolgsbeispiel Brose Baskets Bamberg, den Hauptrundensieger der Bundesliga, auf Kontinuität.

Mit ganz anderen Voraussetzungen als Bamberg startete Ludwigsburg in die am Samstag mit der 79:94-Heimniederlage gegen Frankfurt abrupt beendete Spielzeit. Die komplett neu und recht spät zusammengestellte Mannschaft brauchte einige Zeit, um zu funktionieren. Hinzu kamen Verletzungen wie die des wichtigen Flügelspielers Donatas Zavackas. Das Team verlor sechs der ersten acht Spiele.

„Wir sind nach Rückschlägen aber immer wieder aufgestanden und haben trotz der enormen Anspannung im Saisonverlauf eine sehr gute Stimmung gehabt“, sagt der Teammanager Mario Probst. Mit der Zeit stellte sich auch der Erfolg ein. Das lag einerseits an Zavackas‘ Rückkehr, andererseits änderte der Trainer die Taktik im Spielaufbau, um den Kapitän Jerry Green besser ins Spiel zu bringen. Darüber hinaus verteidigte Ludwigsburg in vielen Partien geschlossener und stabiler.

Die Mannschaft dominierte aber selten über die gesamten 40 Minuten. „Im Vergleich zu den Spitzenteams haben wir in der Breite nicht so einen stark besetzten Kader. Da spiegeln sich die wirtschaftlichen Verhältnisse wider“, sagt Probst. Der Manager freut sich daher umso mehr, dass „sich die Jungs alle zerrissen haben und uns letztlich nur ein kleiner Schritt fehlte“.

Er weiß aber auch, dass es in Ludwigsburg wieder mal an der Zeit wäre, ein Play-off-Spiel zu bestreiten. Der Zuschauerdurchschnitt sank von 3200 auf 2900 Besucher im Vergleich zum Vorjahr – während die Bundesliga einen Rekord (3813 Fans pro Partie) vermeldete. Probst ist sicher: „Für die Fans zählt eher die Art und Weise als nur der sportliche Erfolg, wir haben mit einem ganz neuen Team schon diese Saison eine gute Identifikation geschaffen.“

Um auch wieder eine Beständigkeit bei den Spielern zu gewährleisten, wird der Club in den nächsten Tagen mit den Profis wie John Bowler verhandeln. Einige Akteure wie Jerry Green, David McCray oder Johannes Lischka haben noch einen Vertrag, bei anderen „hat der Verein Optionen geschaffen“, sagt Probst, ohne zu konkretisieren, was das bedeutet. Es dürfte aber schwer werden, manche Leistungsträger zu halten. Alex Harris beispielsweise weckte mit seinen guten Leistungen Begehrlichkeiten bei anderen Clubs mit einem größeren finanziellen Spielraum als Ludwigsburg – und Toby Bailey sprach schon mehrmals vom Karriereende.

Das Gute ist, dass der Sponsorenvertrag mit der EnBW noch für die nächste Saison gilt. Und zu den Personalverhandlungen sollte der Club einfach immer Dieter Schöninger mitnehmen: Der Betreuer ist schließlich bald 22 Jahre in Ludwigsburg und damit ein vorbildliches Beispiel für die gewünschte Kontinuität.

veröffentlicht in der Stuttgarter Zeitung am 27. April 2011