„Von Abschreckung halte ich nicht viel“

1 06 2012

Der  Lungenfacharzt und Suchtmediziner Alexander Rupp setzt sich für die Tabakentwöhnung ein und hat 2010 einen Arbeitskreis in Stuttgart initiiert.  Zum Weltnichtrauchertag spricht er über die Chancen der Tabakentwöhnung sowie die Probleme mit Krankenkassen und sagt: „Die Gefahr wird noch immer unterschätzt.“

Herr Rupp, haben Sie in Ihrem Leben schon einmal geraucht?
Zehn Jahre lang eine Schachtel pro Tag. Im Studium habe ich angefangen und bis ins Berufsleben hinein geraucht.

Wie haben Sie es geschafft aufzuhören?
Mir wurde die innere Ambivalenz zu groß. Einerseits rauchen, andererseits die Patienten zum Aufhören auffordern. Mittels Selbstmanagementliteratur habe ich es geschafft, aber zwei Anläufe gebraucht.

Sie haben 2010 mit Kollegen den Arbeitskreis Tabakentwöhnung gegründet. Warum?
Das Ziel des Arbeitskreisesist es, die Bemühungen zur Tabakentwöhnung zu bündeln, einen fachlichen Austausch zu ermöglichen und die Angebote besser untereinander abzustimmen. Außerdem ist der Zusammenschluss wichtig, um eine gewichtigere Stimme bei den Krankenkassen und in der Öffentlichkeit zu haben. Immerhin wollen Umfragen zufolge mindestens 50 Prozent der Raucher aufhören.

Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung?
Es ist schon ein Erfolg, dass die Zusammenarbeit und der fachliche Austausch überhaupt stattfinden. Auch unsere Aktion beimWeltnichtrauchertag 2011 und unsere aktuelle Fortbildungsreihe sind erste Schritte in die richtige Richtung. Es ist aber noch viel Potenzial vorhanden.

Was meinen Sie mit Potenzial?
Ich denke, man kann die Struktur noch festigen. Unsere Öffentlichkeitsarbeit sollte ausgebaut und unser Kreis zum Beispiel durch Krankenkassen erweitert werden.

Sind Sie mit Akte S auch auf verbohrte Reaktionen bei Anfragen gestoßen?
Mit Akte S selbst noch nicht. Generell ist für mich jedoch völlig unverständlich, dass bei einer Abhängigkeitserkrankung die Kosten für eine Individualberatung oder -therapie nicht durch die Krankenkassen übernommen werden. Denn gerade im Suchtbereich ist Scham häufig ein Problem. Es kann eben nicht jeder in eine Gruppe. Das ist kategorisch bei allen Kassen so. Als Begründung höre ich, es stehe nicht im Präventionsleitfaden.

Dabei liegt die langfristige Erfolgsquote von Aufhörversuchen ohne Unterstützung lediglich bei drei bis fünf Prozent . . .
. . . weil beim Tabakrauchen die enorme Verfügbarkeit ein ganz wichtiger Faktor ist. Fast an jeder Straßenecke steht ein Automat. Rauchen ist eine Konsumform, die alltagstauglich ist, soziale Ausfälle bleiben in der Regel aus. Zudem war es lange Jahre gesellschaftlich voll integriert.

Sie sagen war?
Seit der Diskussion über die Nichtraucherschutzgesetze ändert sich auch die Einstellung zum Rauchen. Es wird zunehmend als störend empfunden. Raucher selbst sehen sich ausgegrenzt, sie müssen rausgehen, werden sogar öfter schräg angeschaut oder angesprochen.

Wird die Gefahr des Rauchens trotz dieser Entwicklung immer noch unterschätzt?
Ja, definitiv.

Würden Sie denn auch von gelegentlichem Rauchen abraten?
Gewisse Erkrankungen können auch durch gelegentliches Rauchen gefördert werden. Durch die Vielzahl chemischer Substanzen werden Entzündungsprozesse im Körper aufrechterhalten. Das kann im Lauf der Jahre zu verschiedenen Erkrankungen führen – egal wie viel man raucht. Außerdem gibt es bei den Krebs erzeugenden Substanzen keinen Schwellenwert der Unbedenklichkeit.

Dennoch rauchen in Deutschland immernoch 20 Millionen Bürger. Mangelt es mehr an der Prävention und der Aufklärung oder an der Entwöhnung?
Für die Raucher mangelt es an Entwöhnungsangeboten. Die vorhandenen Kurse sind für viele nicht attraktiv, weil sie zu lange dauern, und kürzere Angebote bezuschussen die Kassen häufig nicht.

Welche zulässigen Arten der Tabakentwöhnung gibt es?
Den wissenschaftlichen Beweis für die Wirksamkeit haben wir derzeit für die verhaltenstherapeutische und – wenn Entzugssymptome vorhanden sind – für die medikamentöse Unterstützung. Ein fehlender wissenschaftlicher Beweis bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass andere Methoden nicht wirken, sondern häufig, dass keine ausreichenden Studien durchgeführt wurden. Das stärkste wissenschaftliche Kriterium für Studien ist die kontinuierliche Abstinenz über zwölf Monate.

Doch nur mit einem positiven Wissenschaftsbeweis macht es Sinn, bei den Kassen nach Subventionen zu fragen?
Ja, das stimmt. Die Kassen zahlen derzeit beispielsweise nur die langfristigen Kurse, deren Erfolgsquote bei 35 bis 40 Prozent liegt. In Stuttgart konnten wir durch Gespräche mit den Kassen glücklicherweise Ausnahmen erreichen.

Gespräche sind sicherlich auch Teil der Tabakentwöhnung. Wie sollte diese aussehen?
Sie muss die Zielgruppe in hohem Maß erreichen und aus unterschiedlichen Methoden für unterschiedliche Zielgruppen bestehen. Der Einstieg zum Ausstieg muss niederschwellig sein. Die Rauchenden sollten frühestmöglich erreicht werden. Die Tabakentwöhnung sollte effektiv, zeitlich effizient und für alle sozialen Gruppen verfügbar sein. Zudem sollten die knappen Ressourcen im Gesundheitswesen berücksichtigt werden und die Anbieter einen finanziellen Ausgleich für den Aufwand bekommen.

Die aktuellen Standardmodelle, die von den Kassen anerkannt werden, erreichen Ihren Angaben zufolge die Raucher minimal,lediglich 0,03 Prozent nutzten sie 2009. Somit geben die Kassen nur 0,3 Prozent des Präventionsbudgets für die Tabakentwöhnungskurse aus.Woranliegt das?
Es ist ein Problem auf der Anbieter- und auf der Raucherseite: Raucher besuchen die Kurse zu wenig. Bei den Anbietern gibt es zu wenige Spezialisten und zu wenige passende Angebote. Die wenigen, die Kurse vorbereiten und anbieten, stehen am Ende nicht selten mit drei oder vier Kursteilnehmern da, trotz des großen Vorbereitungs- und Werbeaufwands.

Welche Lösungen schlagen Sie vor?
Es wäre wichtig, den Fokus auch auf Kompaktkurse und individuelle Therapien zu legen. Dass diese für viele der einzig gangbare Weg zur Rauchfreiheit ist, wird von den Kassen häufig negiert.

Allerdings schreiben Sie selbst, dass die Abstinenzrate nach den Kompaktkursen geringer ist, etwa 20 bis 25 Prozent hören langfristig auf. Warum sind Sie dennoch ein Anhänger davon?
Die Methode ist sowohl für die Anbieter als auch für die Rauchenden lukrativer. Einem langfristigen Kurs stehen drei Kompaktkurse gegenüber. Pro Stunde Tabakentwöhnung können also mit dem Kompaktkurs doppelt so viele Raucher erfolgreich entwöhnt werden. Auch für die Raucher ist dieser attraktiver, weil die Einheiten überschaubarer und planbarer sind, als sechs Wochen lang einen Tag in der Woche zu dem Kurs gehen zu müssen. Mehrwöchige Kurse sind wichtig und effektiv, aber sie sind eben nicht für alle geeignet.

Haben Sie für den Erfolg von Kompaktkursen auch wissenschaftliche Bestätigungen?
Nur aus den regional begrenzten Zahlen, die ich aus unserer Stuttgarter Erfahrung habe. Den deutschlandweiten Beweis treten wir derzeit mit einer Studie an.

Wie müssen sich Raucher so einen Kompaktkurs vorstellen?
Wir erörtern zuerst in einem Gespräch und mittels Fragebogen, welche Methode sich eignet.Wenn der Kompaktkurs passend ist, besucht der Raucher zwei Termine à zwei Stunden in einer Gruppe zwischen acht und zwölf Personen. Dort gibt es kaum Vorträge, vielmehr werden die Lösungsmöglichkeiten in der Gruppe erarbeitet.

Sind das dann nur konkrete Handlungstipps oder wird auch psychologisch gearbeitet?
Der erste Schritt ist immer eine Motivationsanalyse. Wir wägen die Vor- und Nachteile des Rauchens und des Aufhörens ab. Jeder Rauchende braucht seinen persönlichen Grund für das Aufhören. Der zweite Schritt ist dann die Erarbeitung konkreter Ideen und Lösungsvorschläge, mit dem Rauchen aufzuhören beziehungsweise, was man stattdessen machen kann.

Haben Sie ein Hauptargument gegenüber dem größten Dickkopf in solch einer Gruppe? Von Abschreckung halte ich nicht viel. Man sollte eher schauen, warum die einzelnen Personen dabei sind, was sie bewegt. Wenn jemand zum Kurs kommt, ist er schon nicht mehr dickköpfig. Die Entscheidung muss immer beim Raucher selbst liegen. Daran arbeiten wir im Kurs, und die Gründe für das Aufhören sind dabei die Richtschnur.

veröffentlicht in der Stuttgarter Zeitung (31. Mai 2012)





Atommeiler: Orte wollen unabhängig sein

16 03 2011

Überrascht hören die Nachbarkommunen, dass Neckarwestheim I möglichst schnell stillgelegt wird. Der Schock über den Japan-GAU sitzt tief. Auch wer finanziell profitiert, will den Reaktor lieber heute als morgen loswerden.

Druck ablassen im Reaktorgebäude, Bergung der Menschen aus einem Umkreis von drei Kilometern, Ausgabe von Jodtabletten, die auch er in seinem Rathausschrank aufbewahrt: dem parteilosen Kirchheimer Bürgermeister und Kernkraftgegner Uwe Seibold hat eigentlich schon die erste Meldung vom atomaren Unfall in Japan gereicht. Schließlich sei das exakt der Ablauf, den auch die Orte um das Gemeinschaftskernkraftwerk Neckar (GKN) laut dem Katastrophenschutz einzuhalten haben. Als er von den Maßnahmen um die Meiler Fukushima gehört habe, sei es ihm „eiskalt den Rücken heruntergelaufen“, so der Schultes. Tatsächlich hätten bereits besorgte Bürger bei ihm nachgefragt, ob man die Abwehrmedikamente notfalls bei ihm abholen könne, sagt Seibold: „Gebe Gott, dass wir die nie brauchen.“

Er sei misstrauisch, ob er den Atomausstieg noch erleben werde, hatte der Verwaltungschef noch vor wenigen Monaten erklärt, als die Laufzeit des 35 Jahre alten Blocks I des GKN verlängert wurde, das zwischen Neckarwestheim und Gemmrigheim steht. Dass dieser nun laut der Landesregierung möglichst rasch und für immer stillgelegt werden soll, kommt für die Kirchheimer extrem überraschend und doch mehr als gelegen. Der Ort liegt im Risikoumkreis, hat aber wirtschaftlich wenig profitiert. Immerhin: etliche Mitarbeiter des GKN wohnen in der Kommune, darunter der Betriebsarzt.

Das Personal inklusive Betriebsrat will die jüngsten Ereignisse nicht kommentieren. Ein EnBW-Sprecher sagt allerdings, die Stimmung sei „gedrückt“. Zumal das gute Abschneiden bei der gestrigen Sicherheitssonderprüfung nicht zu den Abschaltplänen passe. Insgesamt würden im GKN mehr als 1000 Menschen arbeiten. Im Atommeiler I seien rund 250 Menschen beschäftigt. Sollte der Block dauerhaft stillgelegt werden, bedeute das nicht automatisch das Aus für die Mitarbeiter, so der Unternehmenssprecher: „Unser hochqualifiziertes Personal benötigen wir auch in anderen Bereichen des Konzerns.“

In Gemmrigheim jedenfalls spricht die Apothekenchefin Rebecca Wolhoff derzeit mit vielen Bürgern über die Vorfälle in Japan. Ihr Eindruck ist aber, dass „die Arbeitsplätze in der Region die Leute mehr beschäftigen als die Jodtabletten“. „Fassungslos“ sei sie gewesen, als sie davon hörte, dass Ministerpräsident Mappus (CDU) die sofortige Stilllegung verkündete, sagt die Hausfrau Claudia Luithle: „Mit so einer Situation hat keiner gerechnet. Keiner weiß, in welche Richtung es weitergeht.“ Bisher hätten die Menschen im Ort zu der Einstellung geneigt, „uns wird schon nichts passieren. Aber durch den Vorfall in Japan denkt man schon anders nach“. Das bestätigen auch die Gasthausinhaber in der Gemeinde. „Jeder ist geschockt, jeder ist den Tränen nahe“, sagt ein Wirt, der nicht namentlich zitiert werden will: „Da denkt man an Japan und gleichzeitig an Neckarwestheim.“ Ein Thema für die Gäste sei aber zugleich auch die Sorge vor höheren Strompreisen, die mit der Abschaltung des Meilers wohl einhergehen würden.

Zudem ist der Meiler auch Auftraggeber für Dienstleister und Handwerker aus der näheren Umgebung. Das Ende des hiesigen Kernkraftwerks sei aus Unternehmersicht jedoch verkraftbar, sagt Norbert Polenta, Vorstand des Bundes der Selbstständigen in Besigheim und Exgemeinderat von Gemmrigheim: „Für die Geschäftswelt sind die Einschnitte nicht dramatisch.“ Außerdem gebe es auch bei einer Abschaltung noch viele Jahre Arbeit, meint auch der Neckarwestheimer Schultes Mario Dürr. Für den Rückbau brauche es mehr als zehn Jahre weiteres Personal. Dürrs Kommune bekommt 60 Prozent der GKN-Gewerbesteuer, der Rest fließt nach Gemmrigheim.

In den vergangenen Jahren habe sich dieser Betrag schrittweise reduziert, sagt die dortige Bürgermeisterin und FDP-Landtagsabgeordnete Monika Chef. Von zwei Millionen Euro jährlicher Gewerbesteuer hänge aber immer noch etwa die Hälfte am Meiler. Die Atomkraft befürworte sie nur, solange die alternativen Energiequellen nicht für die Versorgung ausreichten, sagt Chef. Weder wollte sie die Laufzeitverlängerung noch den atomaren Müll, der in das vor fünf Jahren eingerichtete erste Zwischenlager Baden-Württembergs auf dem GKN-Gelände gebracht wurde. Wenn man die Meiler abschalten könnte, wäre sie glücklich: „Meinetwegen lieber heute als morgen.“

Auch ihr Neckarwestheimer Kollege nimmt angesichts der Schreckensbilder aus Japan den Atomstromausfall gern in Kauf. „Wir müssen dann kleinere Brötchen backen“, sagt Dürr, „aber deshalb geht bei uns das Licht nicht aus.“

(veröffentlich in der Stuttgarter Zeitung am 16. März 2011, mit Miriam Hesse)