Respekt und Zivilcourage haben zugenommen_Impressionen des 7. Stuttgarter Sportgesprächs

25 01 2011

Ich war gestern für die dpa beim 7. Stuttgarter Sportgespräch zum Thema „Integration oder Trennung – welche Sprache spricht der Sport?“. Hier habe ich Euch ein paar Eindrücke aufgeschrieben bzw. die Diskussion zusammengefasst.

Das Gespräch war von drei Hauptaspekten geprägt: Die Integrationswirkung des Spitzen- im Vergleich zum Breitensport, die Integrationsbedeutung des Sports neben der Arbeits- und der Bildungspolitik sowie die Problematik monoethnischer Sportvereine.

Gül Keskinler, Integrationsbeauftragte des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), der baden-württembergische Justizminister und Integrationsbeauftragte Ulrich Goll, Rainer Brechtken, Präsident des Deutschen Turner-Bundes und Sprecher der Spitzensportverbände sowie der ehemalige Dortmunder Fußballprofi Erdal Keser in seiner Funktion als Technischer Leiter des Europabüros des Türkischen Fußballverbandes diskutierten vor 200 Zuhörern über zwei Stunden zu einem Thema, das nicht erst durch die Sarrazin-Debatte im vergangenen Jahr aufkam, dadurch aber noch mehr in den gesellschaftlichen Fokus rückte.

„Integration bedeutet Teilhabe“, sagte Keskinler, „ein Gefühl der Zusammen- und Zugehörigkeit zu habe, also auch Entscheidungsrollen zu übernehmen.“ Sie fand es daher schade, dass unter den Zuhörern lediglich fünf Prozent einen Migrationshintergrund aufwiesen. Goll rieb sich zu Beginn an dem für ihn widersprüchlichen Begriff der Leitkultur, der bei Integrationsdebatten immer wieder aufkommt. Entweder gehe es um „leiten“ oder um „Kultur“, beides passe aber nicht zusammen. Sport ist für ihn ein „mittelbarer Helfer, dessen negative Aspekte weit hinter den positiven stehen“. Keser berichtete von seinen eigenen Erfahrungen als Profi in der 80er-Jahren, in den „Türken-Raus“-Rufe keine Seltenheit waren. „In der Gesellschaft gab es seither einen 100-prozentigen Wandel zum Positiven. Zivilcourage und Respekt sind gestiegen“, sagte Keser und lobte den Einsatz des DFB bei der Bekämpfung der Ausländerfeindlichkeit.

Es dienen in erster Linie die erfolgreichen Profis wie Sami Khedira oder Mesut Özil als Vorzeigebeispiele für eine gelungene Integration. Die Diskutanten waren sich einig, dass die Integrationsdebatte „auf den Schultern einzelner Stars eine enorme Belastung“ (Keskinler) ist, wobei deren Vorbildfunktion enorm wichtig sei. Viel wichtiger seien jedoch die Breitensportler, die ehrenamtlichen Helfer, die Eltern der Nachwuchsathleten mit oder ohne Migrationshintergrund, die Trainer. „Hier ist eine Qualifizierungsoffensive notwendig“, sagte Brechtken, „die Arbeit im Sport ist schwieriger geworden, daher ist die Ausbildung des Personals enorm wichtig.“ Denn die Ehrenamtlichen sind die „Brückenbauer, die Kümmerer“, die „direkt in die Familien hineinarbeiten“, fügte Keskinler an.

Sport ist jedoch nicht die alleinige Triebfeder der Integration, vor allem weil er „weitgehend eine Mittelschichtsveranstaltung“ ist, wie es Brechtken nannte. Er betonte daher die Wichtigkeit der „Netzwerkbildung“, Kindergärten, Schulen, Vereine, Sozialarbeiter, Eltern, alle müssten zusammenarbeiten. Der DFB schickt daher so genannte DFB-Mobile zu den Vereinen, um Kurzschulungen interkultureller Natur durchzuführen oder organisiert Mädchenfußballprojekte, bei denen die Eltern und Migrantenorganisationen eingebunden werden. Migranten als Ehrenamtliche, so lautet die Devise. Die Grundlagen hierfür bilden ein sicherer Arbeitsplatz, eine ausreichende Bildung sowie ein gutes Sprachverständnis.

Eine Untersuchung mit 60 000 Vorschulkindern zeigte, dass sich bei 40 Prozent der Probanden mit Migrationshintergrund sprachliche Probleme im Unterricht abzeichnen, bei denjenigen ohne einen ausländischen Hintergrund waren es lediglich zehn Prozent. „Viele Kinder bleiben hinter ihren Möglichkeiten zurück“, sagte Goll, „hier brauchen wir eine erhöhte Förderung.“ Der Sport könne zwar den Kontakt zu den Kindern herstellen, schließlich fördere er Gesundheit, Ehrgeiz, Selbstvertrauen und Kommunikation, dann sei jedoch die Politik gefragt. Keser kritisierte indes das Fehlverhalten mancher Lehrer und verwies auf ein Golf-Fußball-Projekt, mit Hilfe dessen er und seine Kollegen Lehrstellen für Hauptschüler angeboten haben. Lediglich zehn Prozent der Schulen antworteten auf die Offerte. „Hier müssen die Lehrer qualifizierter sein, und es sollte auch Pädagogen mit Migrationshintergrund geben“, sagte Keser.

Er schlug außerdem vor, der Problematik der monoethnischen Vereine man mit einer „Deutschenquote“ zu begegnen. „Nur eine Nation in einer Mannschaft ist keine Integration“, sagte er. „Die Entwicklung dieser Vereine ist sehr schnell“, entgegnete Keskinler, „es gibt kaum Klubs, die ausschließlich Mitglieder aus einer Nation haben.“ Außerdem sei eine Vereinsgründung „etwas total deutsches“ und daher „mitten im Integrationsprozess“. Für Goll stellt dieses Phänomen allerdings nicht die „Wurzel der Parallelgesellschaft“ dar und Brechtken ergänzte, dass die monoethnischen Klubs lediglich eine „Randerscheinung in der Integrationsdebatte“ sind. Dennoch räumten die Diskutanten diesem Punkt eine lange Gesprächszeit ein.

Am Ende einer mehrheitlich im Einklang statt kontrovers geführten Debatte betonte Keskinler, wie wichtig es ist, „mehr Trainer mit Migrationshintergrund auszubilden sowie mehr Mädchen und Frauen einzubinden“. Die Zukunftsprojekte der Politik werden sich dagegen mit dem Ausbau der Ganztagesschulen befassen und damit, den „Sport in die Kindergärten und Schulen zurückzuholen. Denn wichtig ist nicht nur die Bewegung, sondern auch deren qualifizierte Anleitung“, sagte Goll.

Für den Lacher des Abends sorgte der mehrfache Schwimmeuropameister Markus Deibler der als Interviewgast für den Moderator Eike Schulz geladen war, zwischendurch immer mal wieder einbezogen wurde, allerdings wenig zum Thema Integration beitragen konnte. Was soll er aber auch schon erzählen mit seinen 20 Jahren und als professioneller Athlet mit Spitzenniveau, der sich vor allem auf seine Leistung konzentrieren muss. Jedenfalls wurde er gefragt, was ihn seinen internationalen Reisen am meisten beeindruckte. Deibler daraufhin: „Dass die russischen Schwimmer alle schon mit Anfang 20 verheiratet sind.“ Das hatte zwar weniger mit Integration zu tun, war allerdings ein amüsanter Abschluss eines interessanten, aber auch anstrengenden Diskussionsabend.