Missglückte Entscheidungen_Oder was haben ein BGH-Urteil und der neue Koalitionsvertrag gemeinsam

4 11 2009

Heute mal ein wenig Sportpolitik. Zwei Sachen, die ich für diskussionswürdig halte. Einmal das Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom letzten Freitag (30.10.2009) und zum anderen der Sportteil im Koalitionsvertrag der neuen Regierung.

Es war März 2006, als ein Bayern-Fan zum Auswärtsspiel nach Duisburg reiste. Zurück kam er mit einem 24-monatigen Stadionverbot. Randale seines Fanclubs „Schickeria München“ mit Duisburger Anhängern waren der Grund für das Verbot. Nach eigenen Angaben war der Fan nicht in die Auseinandersetzung involviert, die Staatsanwaltschaft stellte schließlich ein Ermittlungsverfahren gegen ihn ein. Weil es sich um ein bundesweites Stadionverbot handelte, galt dies auch in der Allianz Arena. Der FC Bayern München kündigte die Fanmitgliedschaft, auch die Dauerkarte war dahin. Dabei bestand nur ein Verdacht gegen den Fan.

Die Klage des mittlerweile volljährigen Bayern-Anhängers gegen das Stadionverbot wurde nun vom Bundesgerichtshof abgewiesen. „Die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe, mit der der Kläger in Gewahrsam genommen wurde, rechtfertigt die Annahme, dass er sich bei Fußballveranstaltungen in einem zu Gewalttätigkeiten neigenden Umfeld bewegt“, hieß es in dem Urteil. Das bedeutet, ein Fußballfan muss zukünftig aufpassen, mit wem er ins Stadion geht und neben wen er sich ins Stadion stellt oder setzt. Denn der bloße Verdacht auf eine Gewalttätigkeit reicht für ein Stadionverbot. Das ist genauso traurig wie irrsinnig.

Traurig, weil einem friedlebigen Zuschauer aufgrund von ein paar idiotischen Krawallmachern der Spaß am Fußball verdorben werden kann. Wer soll sich denn dagegen wehren, wenn in nächster Umgebung plötzlich eine Schlägerei beginnt, man vielleicht sogar selbst angepöbelt und geschubst wird (NACHTRAG: und man dummerweise im selben Fanclub ist). Irrsinnig, weil das im Endeffekt wirklich einer Sippenhaft gleicht, wie es der Anwalt des Bayern-Fans bezeichnete. Es wäre dramatisch, wenn diese Art Verdachtsschuld auf andere Bereiche übertragen wird. Das würde zum Beispiel heißen, dass ein Passant verurteilt werden kann, wenn er dummerweise neben einem Auto steht, dass kurz zuvor von einem Randalierer mit einem Stein beschädigt wurde. Weil nun der Passant mit einer Gruppe bekannter Krawallmacher unterwegs ist (NACHTRAG: und zu dieser Vereinigung gehört) und direkt neben dem Auto steht, hat er leider Pech.

Das ist genauso Unsinn wie das Urteil des BGH. Ein Kollege meinte zu diesem Thema, dass er sich die Entscheidung nur damit erklären könne, dass der Bundesgerichtshof Fußballfans vielleicht zu einer Art Zivilcourage erziehen will. Wenn man sieht, dass irgendwo Krawall ansteht, dann schreitet man lieber ein, als dass man selbst mit einem Stadionverbot belangt wird. Das wäre zwar eine durchaus gute Idee des BGH, aber rechtfertigt dennoch nicht, einem Fan auf den bloßen Verdacht hin Stadionverbote zu erteilen. Zivilcourage unter Fußballanhängern muss anders durchgesetzt werden können. (Mehr zum Thema: SPIEGEL, BILD, FAZ, SÜDDEUTSCHE, ZEIT.)

Zaghafte Politik

Um ein ähnliches Zusammenspiel zwischen dem Sport und der Judikative geht es indirekt bei der Diskussion um den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung aus CDU, CSU und FDP. Dort heißt es auf den Seiten 88 und 89 zum Thema Sport:

Oliver Fritsch von Zeit Online hat Recht, wenn er KOMMENTIERT, dass die Politik den „Doping-Kampf mit falschen Mitteln“ angeht. Es ist in der Tat nicht mehr zeitgemäß, wenn in einem Koalitionsvertrag steht, dass der Sport und seine Verbände autonom handeln sollen und die Politik das dann unterstützt. Zumindest ist es im Bereich der Doping-Bekämpfung keine moderne Politik. Hier wäre es nämlich angemessen, endlich ein Anti-Doping-Gesetz einzuführen. Einige Politiker berfürworten das ja auch.

Bayerns Justizministerin Beate Merk beispielsweise hat erst vor ein paar Wochen verkündet, dass sie in der neuen Legislaturperiode für ein solches Gesetz kämpfen will. Dem Focus sagte sie: „Mein Entwurf sieht Strafen von einer Geldstrafe bis hin zu fünf Jahren Gefängnis vor, in besonders schweren Fällen sogar bis zu zehn Jahren.“ Sie bezog sich damals zwar auf den Besitz von Dopingmitteln, was sicherlich nicht der Hauptaspekt sein sollte – wahrscheinlich wird kein Topsportler mit unerlaubten Substanzen umherlaufen – aber dennoch ist der Vorschlag richtig.

Der Wettkampfgedanke ist im Leistungsbereich dem Sport immanent, das macht ihn ja auch so interessant. Wenn man nun aber nur als Bester oder einer der Besten etwas ist, liegt die Betrugsversuchung nahe. Der Schritt, dass dann in einer Sportgesellschaft Betrug als normal angesehen wird, weil es ja alle machen, ist nicht mehr weit. Die Sauberen können dann dagegen kaum etwas ausrichten, weil sie im Normalfall nicht erfolgreich und damit uninteressant – auch für die Medien – sind. Auch die soziale Ächtung – wie sie Steffen Moritz unter dem oben erwähnten Zeit-Kommentar anbringt, ist wahrscheinlich nicht so effektiv wie ein rechtliches Mittel. Sie wäre zwar die schönere und menschlichere Variante, aber im Kommerz- und Drucksumpf des Spitzensports ist das kaum möglich.

Warum also nicht ein Gesetz erlassen, dass Sportler, aber vor allem auch Trainer, Funktionäre, Mediziner und sonstige Hintermänner mit Geld- und Freiheitsstrafen droht. Allen Beteiligten würde ihr Betrug an den Zuschauern, an den Gegnern und schließlich auch an sich selbst dann sicherlich nicht so leicht fallen, wie das derzeit wirkt.

Um am Beginn einer neuen Legislaturperiode ein wirkliches Zeichen auch im Bereich des Sports, der – so steht es übrigens wörtlich im Koalitionsvertrag – „für die Aktivierung und den Zusammenhalt einer modernen Gesellschaft unverzichtbare Beiträge leistet“, zu setzen, wäre eine klare Ansage im Kampf gegen Doping nützlich gewesen. Diese verpasste Chance sollte nun so schnell wie möglich zumindest in der politischen Umsetzung nachgeholt werden. Denn, wie heute gemeldet wurde, ist nun auch der erste Golfer wegen Dopings gesperrt worden. Die Manipulationsviren finden im Sport einen die Vermehrung stimulierenden Nährboden. Das muss geändert werden: durch gesellschaftliches Aufbegehren, mediale Ächtung und politische Härte.

NACHTRAG (20.1.): Hab heut passend zum Doping-Thema zwei Meldungen in der SZ gelesen. Gute Mittel gegen den Betrug sind meiner Meinung nach die Athletenerklärung, die die Olympia-TeilneherInnen unterschrieben haben und sie somit finanziellen Sanktionen im Dopingfall unterwerfen. Und zudem plant die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) einen neuen Anti-Doping-Code für 2015, mal gucken, was da noch kommt. Zudem ist bei Interpol ein Offizier berufen worden, der der Wada im Kampf gegen Dopinghändlerringe helfen soll.


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11 responses

5 11 2009
Ben

Fussballfan:
Ich weiß ja nicht was du unter „Zugehörigkeit“ verstehst, aber nur daneben stehen stellt noch lange keine „Zugehörigkeit“ dar. Da gehört schon mehr dazu.

5 11 2009
fabischmidt

Das ist ja die Wortwahl des BGH-Urteils. Und nachdem, was ich so gelesen habe, hat er in diesem Fall nur zu der Gruppe gehört bzw. ist nur daneben gestanden.

5 11 2009
ck

um von einer „missglückten“ entscheidung zu reden, sollte man sich mit dem fall intensiver auseinander gesetzt haben, als du das anscheinend getan hast. in tatsächlicher und juristischer hinsicht!

6 11 2009
fabischmidt

nachdem, was ich selbst in den medien konsumiert habe, komme ich zu dem beschriebenen fazit. gern überdenke ich durch überzeugende argumente aber natürlich meine meinung. ich denke einfach, dass jemand vom verdacht auf gewalt nicht vom fußball gucken abgehalten werden soll. ich bin genauso gegen gewalt im stadion, es gibt nichts dämlicheres als prügel und ausschreitungen, die den fußball kaputt machen.

6 11 2009
fabischmidt

habe nun nach juristischer Abklärung einige Passagen abgeändert. Jetzt habe ich das Problem auch verstanden. Danke.

7 11 2009
ck

das hab ich gemeint…

8 11 2009
Ben

schönes ding 🙂

8 11 2009
Rasmus

Also ich möchte dem Autor zustimmen und sagen: „Auch ich halte diese Entscheidung für sehr missglückt, kann sie mit meinem persönlichen Rechtsempfinden in keiner Art und Weise vereinbaren und hoffe, dass das BVerfG dieses Urteil aufhebt“.

Ich glaube Diskussionen über den juristischen Begriff der Zugehörigkeit bringen uns in diesem Punkt nicht weiter – ich finde sie geradezu lächerlich. Ich finde schon, dass man es darauf runterbrechen kann, „Achtung neben denen geh ich nicht ins Stadion bzw. vom Stadion zurück, sonst werde ich mitverurteilt- obwohl ich ja gar nichts gemacht habe, denn es ist ja völlig egal, ob die mir etwas nachweisen können oder nicht…“
Auch die „Zugehörigkeit“ zu der Fangruppe Schickeria in Form vielleicht einer Vereinsmitgliedschaft, darf kein Grund für eine solche Entscheidung sein. Ist die Schickeria kriminell, ausländerfeindlich, generell gewalttätig oder verfassungswidrig?
Ist sie die SRP oder KPD des FCB?
Wenn ja bitte verbieten oder ermitteln. Wenn sich dafür keinerlei Anhaltspunkte finden lassen (ich glaubs mal, weiß es aber nicht), darf dies auch kein Grund sein, jemanden zu verurteilen.
Es kann nur ein Grund sein, wenn generell dazu übergegangen wird, wie es ja in dem Urteil anklingt, dass der FCB Herr im Haus ist, Hausrecht hat oder so und deshalb nur er entscheiden darf, wer ins Stadion kommt. Natürlich könnte man jetzt argumentieren, dass es das gute Recht des FCBs ist, bzw. generell jedes Fußballvereins in Deutschland, per Hausrecht zu Verfügen, wer ins Stadion darf und wer nicht. Allerdings wird der deutsche Profifussball massiv vom Steuerzahler gefördert – Finanzierung von Polizeieinsätzen, Sponsoring durch halbstaatliche Unternehmen, Förderung des Stadionausbaus in Deutschland usw…und deshalb darf er das NICHT – so ist meine persönliche Einschätzung.
Mein persönliches Fazit ist: Fans, denen keine Straftat im Zusammenhang mit einem Stadionbesuch nachgewiesen werden kann (und dazu gehört denke ich Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft), egal ob jetzt aktuell oder früher, darf man nicht mit einem Stadionverbot belegen.
Und jetzt sind wir mal gespannt, was das BVerfG macht.

P.S. Ich hoffe diese Zeilen waren nicht zu schwammig, denn ich habe leider weder Jura, noch Journalismus noch Stadionsrecht studiert und fühle mich diesen Studenten gegenüber auch nicht zugehörig 🙂

17 12 2009
Oliver Fritsch

Beate Merk steht wohl ziemlich alleine da, nicht mal Parteifreunde unterstützen sie.

18 12 2009
fabischmidt

Das Bundes-Sportschutzgesetz fordert für einige evtl. zu viel auf einmal.

20 01 2010
fabischmidt

siehe Nachtrag 20.1.: Hab heut passend zum Doping-Thema zwei Meldungen in der SZ gelesen. Gute Mittel gegen den Betrug sind meiner Meinung nach die Athletenerklärung, die die Olympia-TeilneherInnen unterschrieben haben und sie somit finanziellen Sanktionen im Dopingfall unterwerfen. Und zudem plant die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) einen neuen Anti-Doping-Code für 2015, mal gucken, was da noch kommt. Zudem ist bei Interpol ein Offizier berufen worden, der der Wada im Kampf gegen Dopinghändlerringe helfen soll.

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